Schlagwort-Archiv: Selbstständigkeit

Auge & Hand

Minikleine Papierkästchen mit Deckel, ausgesucht schön beklebt, jedes ein Unikat – es war Liebe auf den ersten Blick. Ebenso wie die Kabelbinder: Putzige Tiergesichter aus Leder, in schillernden Farben, mit Druckknöpfen als Nase. Die Schweinchen scheinen einen direkt anzusehen, aus dem weinumrankten Schaufenster in der Mannhartstraße.

Wie oft bin ich vom Büro aus an diesem kleinen Laden entlanggegangen. Aber wie es immer so ist: Dann muss es schnell gehen, die Gedanken sind eh noch ganz woanders, und zack, ist man auch schon wieder dran vorbei. Im Mai war es dann soweit: Die Tür stand offen, und ich ging hinein. Weiterlesen

#enkeltauglich

Als ihr Elternhaus verkauft wurde, butterte Sandra Uschtrin ihr komplettes Erbe in den Aufbau einer Internetplattform. Andere renovieren endlich mal die Wohnung, machen Reisen, gönnen sich was. Die Verlegerin investierte ihren Anteil in eine digitale Fair-Trade-Buchhandlung. Mutig? Mit solchen Kategorien kann die Herausgeberin und Verlegerin nicht viel anfangen. „Ich liebe es, mein Ding zu machen und Ideen umzusetzen“, sagt sie fröhlich. Das Konzept der 2014 gegründeten Autorenwelt ist einzigartig: Für jedes verkaufte Buch erhalten die Autorinnen und Autoren sieben Prozent des Ladenverkaufspreises, zusätzlich zu ihren Verlagstantiemen. „Die wenigsten können von ihren Büchern leben, dagegen wollen wir etwas tun.“

Mit 20 Kisten unterwegs

Sandra Uschtrin spricht schnell und lacht gerne während unseres Videocalls. Hinter ihr, auf dem Küchentisch, liegen Fachzeitschriften, ein neues Heft ist gerade in Arbeit. Sie wirkt aufgeräumt, obwohl ihre To-do-Liste für den Tag lang ist. Vielleicht ist das wirklich die Abwechslung! Seit einiger Zeit ist die Verlegerin als digitale Nomadin mit ihrem Bus und zwanzig Kisten unterwegs. Mal mehrere Monate hier, mal dort, meistens in Ferienwohnungen. Ein großer Topf, eine gute Pfanne und scharfe Messer sind immer dabei. „Ich habe immer von zuhause aus gearbeitet, und auch an meinem Arbeitspensum hat sich gar nichts geändert. Aber es ist schön, wenn man mittags beim Essen in der Sonne sitzen kann und noch ein bisschen was sieht.“ Weiterlesen

Frauenzimmerl

Wenn man etwas sehr lange macht, entsteht manchmal der Wunsch nach etwas Neuem. Viele Jahre lang begleitete Ingrid Stocker Kinder in ihrer Entwicklung, die oft mit Beeinträchtigungen unterschiedlichster Art zu kämpfen hatten. Eine erfüllende Aufgabe, aber auch fordernd. Als die Heilpädagogin selbst Mutter wurde, wuchs der Wunsch nach Veränderung. „Ich wollte etwas machen, das sich leicht anfühlt“, sagt sie, und schaut hinüber zu einer Kinderzeichnung. Seit zehn Jahren lehnt das Bild auf einem schmalen Bord an der Wand, zwischen einem Kleiderständer und der Ladentür. Es zeigt eine Frau mit braunem Haar in einem mit Buntstift gemalten Haus, umgeben von Schneiderpuppen, Garnspulen und Kleidern. In den Händen hält sie zwei winzig kleine, bunte Blusen. „Meine Tochter wusste vor mir, was ich wollte“, sagt Ingrid Stocker mit einem Lächeln. „Das ist mir erst viel später aufgefallen.“

Bei ihr selbst war es eher so ein Sehnen. Nach etwas Eigenem. Nach mehr Selbstbestimmung. Bei einem Bummel durchs Westend kam sie an einem Laden vorbei, der Verkäufer saß mit einem Kaffee draußen auf einer Bank. „Da wusste ich, das will ich auch!“ Weiterlesen

Die Mercerie

24 kleine Läden – Ladentürchen Nr. 23

Ein sehr interessanter Satz, den ich an diesem späten Nachmittag höre. Es wird schon Abend, als ich die Mercerie an der Nymphenburger Straße erreiche. Hell erleuchtet liegt der Laden ein wenig nach hinten versetzt in der Dunkelheit. Ich komme hinein, in die wohlige Wärme, und schaue auf: Knöpfe. Mit Blümchen, als Herzchen oder im schlichten Schwarz, angenäht an unzählige kleine Fächer eines mehr als mannshohen Blechschranks.

Eine ganze LKW-Ladung an Fundstücken brachte Sabine Niebler-Reumann vor zehn Jahren mit zurück von ihrem Streifzug über Flohmärkte in Belgien. Sie fand Metallcontainer, Holzschränkchen, Schemel und entzückende Werbeständer für Garnspulen, die heute ausgesprochen retro wirken. Zurück in München packte die gelernte Handarbeitslehrerin den Laster aus und richtete damit ihren Wollladen ein. Weiterlesen

Laden_Grafik_Kunst

24 kleine Läden – Ladentürchen Nr. 22

Mit einem appetitlichen Stück Müller-Thurgau in der Tasche verlasse ich die Käsemaus in der Schulstraße, wende mich kurz nach rechts und stehe vor einem ausgesprochen blickfangreichen Schaufenster. Wow, das ist ja mal ein tolles Küchenbüffet, denke ich beim Hineinblinzeln durch die Scheibe. Voll der 50er Retro-Style. Was es dort sonst wohl noch gibt… Es sieht interessant aus dadrinnen, aber so richtig einordnen kann ich es nicht.

Mir fällt ein, was ich auf meinen Streifzügen durch kleine Läden häufiger hörte: Nicht selten stehen Menschen vor den Fenstern, schauen interessiert hierhin und dorthin, und gehen dann doch weiter. Als wäre da eine Hemmschwelle, die sie daran hindert, einfach hineinzugehen und sich umzuschauen. Warum eigentlich? Kurzentschlossen drücke ich gegen die Eingangstür – und kann nur sagen: Das war eine richtig gute Idee! Weiterlesen

Silberfisch

24 kleine Läden – Ladentürchen Nr. 8

Bei meinem Streifzug durch das Westend komme ich beim Silberfisch vorbei. Als Tochter von Goldschmieden ist Weihnachten für mich untrennbar mit Schmuck verbunden. Hier in der Heimeranstraße arbeiten Handwerkerinnen und Handwerker aus der Gold- und Silberschmiede im Kollektiv zusammen, das hat meine Neugier geweckt.

Gründerin Alexandra von Guilleaume ist gerade mit der Weihnachtsdekoration beschäftigt, als ich den Laden erreiche. Im Schaufenster leuchten Edelsteine in allen Formen und Farben. Smaragde, Turmaline oder Mondsteine, jeder von ihnen ein Solitär. „Mit dieser Deko wollen wir zeigen, wie viele verschiedene Schliffe es gibt“, sagt die Silberschmiedin. Vorsichtig ordnet sie kleine runde Döschen, in denen jeweils ein Stein für sich allein glänzen darf, auf magnetischen schwarzen Kreisen an und stellt sie ins Schaufenster. Einzelne Steine werden gerne als Geschenk verkauft, auch in der Vorweihnachtszeit. „Nach den Festtagen verarbeiten wir sie dann nach eigenen Wünschen zu Schmuckstücken“, erzählt Alexandra von Guilleaume. „Das kommt gut an.“ Weiterlesen

Nauli

24 kleine Läden – Ladentürchen Nr. 6

Ins Univiertel in der Maxvorstadt zieht es mich immer wieder. Das imposante und geschichtsträchtige Hauptgebäude der LMU beeindruckte mich schon als Studentin, die aus dem Münsterland nach München kam. Seit einigen Jahren laufe ich meistens ein paar Schritte weiter in die Adalbertstraße. 2018 eröffneten die beiden Schwestern Eva-Dewi und Johanna Pangestian Harahap dort ihren kleinen Laden, das Nauli. Der Name erinnert an ihre indonesische Großmutter, übersetzt bedeutet er „wunderschön“. Und das sind sie tatsächlich, die von Hand gebundenen Bücher und Alben aus feinstem Papier, die den Grundstock des kleinen Familienunternehmens legten.

Weiterlesen

Kochgut

24 kleine Läden – Ladentürchen Nr. 5

Inzwischen liegt mein Büro im Lehel. Manchmal steige ich am Max-Weber-Platz aus und laufe noch kurz am kleinsten Küchenkaufhaus in München vorbei. Es liegt ein bisschen versteckt, am Eingang der Schloßstraße. Schon ein Blick ins Schaufenster zeigt, dass hier jemand mit Liebe zum Detail arbeitet.

Mehr als 5000 verschiedene Artikel hält Iris Reiss in dem 1981 eröffneten Laden bereit. Man muss keine passionierte Köchin sein, um sich für ihr Angebot im Kochgut zu begeistern. Von der Spülbürste bis hin zum edlen Bräter reicht das Sortiment in den hellen Holzregalen. Als Studentin war Iris Reiss selbst Stammkundin im „Kochgut“, damals lag der Laden noch ein paar Häuser weiter. „Jeder im Viertel ging dahin“, sagt sie. „Der Laden war eine Institution.“ Das ist auch mit dem Umzug 2013 so geblieben, da hatte Iris Reiss das Geschäft gerade übernommen. Weiterlesen

“Das halten wir durch!”

Im Sommer 2018, als Corona noch ein Bier war, verbrachten Tamás Micsutka und Kitti Angyal viel Zeit alleine auf ihrer schönen Außenterrasse und verstanden die Welt nicht mehr. Nach vielen Jahren Fernbeziehung war das Paar frisch verheiratet, die beiden hatten ihr Erspartes in die Hand genommen und sich einen Traum erfüllt: ein eigenes Lokal, idyllisch gelegen bei Mittenwald. Mit viel Liebe richteten sie es ein und fühlten sich am Ziel. Die schöne Gegend ist als Ausflugsziel sehr beliebt, fröhlich winkend kamen täglich viele Fahrradfahrer vorbei – und fuhren weiter. „Manchmal hatten wir nur dreißig Gäste, kaum jemand blieb zum Essen“, erzählt Tamás, der 2012 als Koch aus Ungarn nach Deutschland gekommen war. „Das war echt hart.“ Tag für Tag stand er in der Küche und bereitete Speisen vor, die nicht geordert wurden. „Wir lagen etwas zu abseits der Stadt, für eine Zwischenmahlzeit dann aber auch wieder zu nah.“

Ein Anruf aus München brachte die Wende. Mitte 2019 übernahmen die jungen Wirtsleute das Herr Lichtenberg, eine gut gehende Cantineria auf dem Garchinger Campus der Technischen Universität. Schon nach wenigen Monaten hatte sich alles erfreulich eingespielt. „Im März war ein Zeitpunkt erreicht, wo wir wieder planen und ernsthaft an ein Kind denken konnten“, so Kitti. Zur Entlastung stellten sie einen zusätzlichen Koch ein.

Dann kam Corona. Und der erste Lockdown legte auch das Leben auf dem Hochschulcampus komplett still. Weiterlesen

Kunst per Videocall

Der Blick wandert durch den Raum. Zwischen den an der Decke aufgehängten Schmuckvitrinen lassen sich die, mit geschlossenen Augen tief in sich versunkenen, Gesichter der „Visionäre“ entdecken. Im Foyer empfängt eine Frauenfigur in knallrotem Jackett die virtuelle Besucherin mit aufforderndem Blick. Ob Menschen, Katzen oder Raben: Schicht für Schicht trägt die Malerin Claudia Grögler Farben auf, plastisch erscheinen die übergroßen Gesichter. Selbst auf dem Smartphone wirkt ihre Malerei intensiv.

Endlich wieder aktiv werden können: Bilder zusammenstellen, Plakate aufhängen, Werbung machen. „Es tut so gut!“, sagt Claudia Grögler. Und es war an der Zeit. In der Galerie Scheytt zeigt die Künstlerin neue Bilder, in bester Schwabinger Lage. Einige ihrer großformatigen, farbgesättigten Gemälde lassen sich direkt durchs Schaufenster erblicken. Wer mehr sehen will, lässt sich von Brigitte Scheytt per Videocall durch die anderen Räume ihrer Schmuckgalerie geleiten. In diesen an Kultur armen Zeiten ist so ein digitaler Spaziergang wie ein Ausflug in eine andere Welt. Weiterlesen