Der Blick wandert durch den Raum. Zwischen den an der Decke aufgehängten Schmuckvitrinen lassen sich die, mit geschlossenen Augen tief in sich versunkenen, Gesichter der „Visionäre“ entdecken. Im Foyer empfängt eine Frauenfigur in knallrotem Jackett die virtuelle Besucherin mit aufforderndem Blick. Ob Menschen, Katzen oder Raben: Schicht für Schicht trägt die Malerin Claudia Grögler Farben auf, plastisch erscheinen die übergroßen Gesichter. Selbst auf dem Smartphone wirkt ihre Malerei intensiv.
Endlich wieder aktiv werden können: Bilder zusammenstellen, Plakate aufhängen, Werbung machen. „Es tut so gut!“, sagt Claudia Grögler. Und es war an der Zeit. In der Galerie Scheytt zeigt die Künstlerin neue Bilder, in bester Schwabinger Lage. Einige ihrer großformatigen, farbgesättigten Gemälde lassen sich direkt durchs Schaufenster erblicken. Wer mehr sehen will, lässt sich von Brigitte Scheytt per Videocall durch die anderen Räume ihrer Schmuckgalerie geleiten. In diesen an Kultur armen Zeiten ist so ein digitaler Spaziergang wie ein Ausflug in eine andere Welt.
„Viele freuen sich über dieses Angebot, wir bekommen viel positives Feedback“, erzählt Claudia Grögler. Die Kooperation war schon länger geplant und wurde trotz drohendem Lockdown in die Tat umgesetzt. Seit Januar sind ihre Bilder zusammen mit den Bronzearbeiten von Andrea Matheisen in der Kaiserstraße 23 zu sehen. Die Kunstwerke werden regelmäßig ausgetauscht und neu dekoriert. So eröffnen sich Passanten jeden Tag neue Kunsterlebnisse.
„Heldenpause“, unter diesem Titel läuft die Ausstellung. Für Claudia Grögler gilt das jedoch nicht, sie macht einfach weiter. „Mein Arbeitsrhythmus hat sich eigentlich nicht verändert“, stellt sie fest. Stundenlang läuft die Malerin mit ihrem Hund über Äcker und Felder, sammelt Eindrücke und nutzt das Tageslicht zum Malen. „Nur das Zusammensein mit anderen, Lesungen oder Musik, zu denen man sich trifft, das fehlt mir schon.“
Offene Ateliers in der Wiede-Fabrik
Denkt sie an die Zeit des ersten Lockdowns zurück, gerät die schmale, durchtrainiert wirkende Frau ins Schwärmen. Die schier überbordende Natur, das satte Grün der Bäume, die vielen kleinen Pflänzchen im strahlend hellen Licht – „ich war überwältigt von dieser Schönheit!“ Auf ihre Arbeit wirkte das wochenlang andauernde Frühlingserwachen inspirierend. Doch die wirtschaftlichen Folgen der Pandemie machten sich bald bemerkbar. „Meine Bilder bekamen viel Zuspruch, aber beim Kaufen blieben die Leute zurückhaltend. Das kannte ich so nicht.“
Die 1961 in Kassel geborene Künstlerin lebt und arbeitet in der Wiede-Fabrik, einem Zusammenschluss von Kunstschaffenden im Münchner Osten. Als eine der ersten richtete sie sich Anfang der neunziger Jahre in einem der Gebäude auf dem Gelände der ehemaligen Acetylen-Werke in Johanneskirchen ein. Mit Sinn für kreative Lösungen schuf sie in ihrem Turm Wohnraum für eine ganze Familie, die weitläufige Halle direkt nebenan bietet der Malerin reichlich Platz für die Arbeit an ihren Werken. Zweimal im Jahr stellen die mehr als zwei Dutzend Künstlerinnen und Künstler in ihren Ateliers und Werkstätten aus, diese Gemeinschaftsausstellungen entwickelten sich zu einem Muss in der Münchner Kunstszene. An einem lauen Sommerabend von Atelier zu Atelier zu schlendern, ins Gespräch zu kommen und den Spirit dieser sehr besonderen Umgebung zu genießen – wer einmal dabei war, wünscht sich gleich wieder hin.
Kooperationen in Corona-Zeiten
Für die Künstlergemeinschaft sind diese Events Ansporn, aber auch ein nicht zu unterschätzender Wirtschaftsfaktor. „An diesen Wochenenden werden die Scheunen für den Winter gefüllt“, sagt Claudia Grögler. Wie es 2021 weitergeht, steht noch nicht fest. Im vergangenen Spätsommer ließ sich, zur Erleichterung aller, schließlich doch noch eine Ausgabe im coronatauglichen Format organisieren. Die inzwischen erwachsenen Kinder der Künstler und Künstlerinnen führten die Aufsicht, nahmen Daten auf und lenkten Besucherströme in geordnete Bahnen. „Das war eine sehr schöne, konzentrierte Stimmung“, so Grögler. „Wir hatten Zeit für intensive Gespräche und viele von uns haben gut verkauft.“
Wenn Ausstellungen ausfallen und Galerien schließen, lassen sich neu entstehende Kunstwerke kaum noch sichtbar machen. Claudia Grögler ist auf digitalen Kanälen unterwegs und präsentiert neue Arbeiten auf Instagram. Ihren privaten Mailverteiler nimmt sie nur wohldosiert in Anspruch. „Da kann ich nicht einfach nur Bilder posten, es muss schon etwas passieren.“ Kooperationspartner wie die Galerie Scheytt sind deshalb so wichtig. Die kleine, feine Schau zeigt sehr schön, was die Malerei von Claudia Grögler auszeichnet. Großflächige Gesichter, immer ernst und konzentriert, häufig in enger Beziehung zu Tieren. Die Künstlerin nutzt gerne ihr eigenes Gesicht als Medium und steht häufig mit einem Spiegel vor der Leinwand. „Was mich fasziniert ist das Sensible, Verletzliche, im Malen taste ich mich hinein in die Seele der Figuren.“
Ihr Meisterstück der Corona-Phase ist einem Baum gewidmet, drei Monate hat sie an dem fast zwei Meter mal zwei Meter großen Bild gemalt. „Das ist meine Umsetzung dieser Zeit“, sagt Claudia Grögler, die auf ihren Ausflügen immer wieder neue, knorrige Lieblingsbäume entdeckt. „Manchmal kommt es mir vor, als würden Urwesen aus einer anderen Zeit mit mir sprechen und sagen: Kinder, es wird alles gut!“
Die Ausstellung „Heldenpause“ ist noch bis zum 26. Februar in der Galerie Scheytt zu sehen. Wer sich die Bilder per Videocall anschauen möchte, meldet sich telefonisch oder unter mail@scheytt-muenchen.de
Zur Schmuckgalerie
Auch in Nicht-Corona-Zeiten öffnet die Galerie Scheytt Künstlerinnen und Künstlern ihre Räume. Galeristin Brigitte Scheytt versteht sich als Vermittlerin, in ihrer Schmuckgalerie präsentieren sie und ihre Schwester handgefertigte Schmuckstücke aus vielen verschiedenen Goldschmieden. Ein sehr interessantes Konzept! Wie es dazu kam erzählt die engagierte Geschäftsfrau hier.
Bilder: Klaus Achterhold, Philipp Mansmann, Julie Plica, Claudia Grögler