Von der Musik leben?

„Die Kunst ins reale Leben einbinden, darum geht´s.“

Lutz J. Mays, Bassist, Komponist, Autor und Lehrer

Lampenschirme baumeln im Biergarten über verstreut herumstehenden Tischen und Bänken. Ich ahne, was für ein wunderbarer Ort das hier an lauen Sommerabenden sein muss! Noch pfeift allerdings der Wind sehr heftig um den klotzigen Z-Bau in Nürnberg. Dem roten Backsteinhaus sieht man die Nazi-Vergangenheit auf Anhieb an. Ebenso wie dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, auf dem Grundstück direkt nebenan. Nach dem Zweiten Weltkrieg kamen die Amerikaner, heute ist der Z-Bau an der Frankenstraße ein Hort der Gegenwartskultur – ein buntes und weitläufiges Biotop für Kreative. Von den langen Fluren gehen Studios und Probenräume ab. Zerbrochene Schallplatten, Collagen, Graffiti und Flyer an den Türen zeigen, wer sich hier im Laufe der Jahre angesiedelt hat – vom Verein für Fahrradkultur bis hin zum Tonstudio sind hier alle Sparten vertreten. „Die Atmosphäre ist unglaublich belebend“, sagt der Bassist Lutz J. Mays, während er im ersten Stock auf seinen Schüler wartet. „Hier sind lauter Leute, die auch spinnen und ihren Wahn leben“, sagt er, und lacht. „Es tut gut zu spüren: Man ist damit nicht alleine.“

Im vergangenen Herbst ist der Musiker in den Z-Bau gezogen, mit dem Künstler Manfred Neupert teilt er sich ein Atelier. An den Wänden hängen großformatige Bilder, streng in der Form, intensiv in der Farbe. Auf der langen Arbeitsplatte liegt ein kleiner Stapel CDs. Eine davon hielt ich im letzten Jahr in der Hand und war total überrascht. Auf dem Cover sah ich einen sehr gelöst wirkenden Lutz (mit Locken!) barfuß an einem Strand sitzend und seinen Bass zupfend. Neben ihm eine junge Frau mit lustigem Schmuck, gelb getönter Brille und fröhlichem Lächeln. Auf YouTube konnte ich mir anschauen, wie die beiden den Versuch unternehmen, einen Kontrabass in einen französischen Kleinwagen zu verfrachten. Dazu Musik von schmetterlingshafter Leichtigkeit – toll!

Als ich Lutz kennenlernte, hatte er keine Locken. Er trug die Haare ganz kurz rasiert, wirkte häufig sehr ernst und schlug sich mit der Frage herum, ob er den Sprung ins Musikgeschäft tatsächlich wagen sollte. Schon vor seinem Job in der Wirtschafts- und Finanzmarktforschung hatte der Bassist vom Musik machen leben können – nur zum Reisen reichte es nicht. Mit der Eingabe von Daten verdiente er sich ein bisschen was nebenher, tauchte immer tiefer ein, übernahm Auswertungen und fing schließlich auch an zu programmieren. „Ich bin da eigentlich mehr so reingerutscht“, sagt er heute. Als das Jobangebot kam, hatte Lutz J. Mays einen kleinen Sohn, die feste Stelle kam da gerade recht. Fortan fuhr der in München und Linz ausgebildete Bassist mit seinem Firmenwagen durch die Lande und verkaufte Content-Management-Systeme an Finanzdienstleister.

„Es hat mir schon Spaß gemacht“, stellt er rückblickend fest. „Auch weil es mir finanziell gut ging.“ Die Musik spielte sich zwar nur noch in der Freizeit ab, Proben und Auftritte ließen sich jedoch so einigermaßen integrieren. Als das Unternehmen, für das er arbeitete, in eine Aktiengesellschaft umgewandelt wurde, hörte der Spaß auf. „Fachliche Argumente spielten überhaupt keine Rolle mehr, alles drehte sich nur noch um die Zahlen. Wir mussten monatlich die künftigen Umsätze beschreiben – das widersprach dem gesunden Menschenverstand!” Nach zehn Jahren zog er schließlich die Reißleine und kündigte. „Es war ein schwieriger Schritt, aber damals alternativlos.“

Gut vernetzt in die Selbstständigkeit

Die Freude darauf, sich endlich wieder voll auf die Musik konzentrieren zu können, war groß. Der Respekt vor den Herausforderungen der Selbstständigkeit war jedoch mindestens ebenso ausgeprägt. „Ich hätte das viel eher machen sollen, aber ich habe mich nicht getraut“, sagt er  heute. In der regionalen Musikszene war der Nürnberger gut bekannt und bestens vernetzt. Er fing an zu unterrichten, spielte in verschiedenen Bands und schrieb die ersten Beiträge für das Fachmagazin „bass quarterly“. Die Zusammenarbeit mit der französischen Sängerin Dany Tollemer war ein wichtiger Schritt nach vorne. Die CD „Soleil“ brachte dem deutsch-französischen Duo „Ah Voix Bass“ viel Aufmerksamkeit – Auftritte im Radio, eine Zusammenarbeit mit Renault, positive Kritiken und Konzerte. Das Duo hat sich inzwischen wieder getrennt. Ein neues minimalistisches Projekt mit Bass und Percussion steht in den Startlöchern.

„Ah Voix Bass“ war ziemlich erfolgreich. Warum habt ihr euch getrennt?
Als Künstler zu arbeiten heißt nicht nur Kunst zu machen, sondern sie auch zu verkaufen, in die Welt zu bringen. Da ist man eben auch ein kleines Unternehmen und muss sich mit dem Finanzamt, der Künstlersozialkasse, Verträgen und Geschäftspartnern professionell beschäftigen und auseinandersetzen. Aber da hatten wir leider unterschiedliche Vorstellungen.

Jetzt fängst du wieder neu an – was heißt das für dich?
Es kann dauern, bis man die richtigen Partner für ein künstlerisches Projekt findet, mit denen man man tatsächlich an einem Strang zieht. Und es ist auch eine Frage der Organisation, bis man mit allen Beteiligten ein neues Programm auf die Beine gestellt hat. Wir sind zu dritt und leben an verschiedenen Orten. Die Musik habe ich geschrieben, Texte sind auch fertig und wir haben ein Demovideo gemacht. Jetzt geht es darum, an Auftritte heranzukommen.

Hast du es in den letzten acht Jahren mal bereut, dich auf das Abenteuer Musik eingelassen zu haben?
Es gibt immer wieder Momente, in denen ich an eine Festanstellung denke. Man kann vom Musikmachen leben, aber du musst kämpfen und darfst dich nicht mit Absagen aufhalten – die kriegt man ständig. Ganz wichtig finde ich, dass man sich immer wieder hinterfragt: Was kann ich leisten, was nicht? Und sich dann eben auch Profis holt. Einen Agenten zum Beispiel, der für Auftritte sorgt, bei den Sendern Interesse weckt und die Öffentlichkeitsarbeit vorantreibt.

 

 An diesem Mittag bereitet sich Lutz J. Mays auf den Unterricht vor. Er baut seinen „Traumbass“ auf, den er selbst entworfen hat, und spielt sich ein bisschen warm. Der dickleibige Kontrabass, mit dem er in dem YouTube-Video als Tramper an der Straße steht, lehnt am Schreibtisch. Am frühen Nachmittag geht’s los, nonstop bis in den späten Abend. Ein langer Tag, aber Lutz J. Mays legt Wert darauf, den Unterricht zu bündeln und auf drei Tage pro Woche zu beschränken. Organisation, Proben, Buchhaltung und Terminplanung nehmen viel Zeit in Anspruch. „Man muss die Kunst ins reale Leben holen“, sagt er. Ohne Abstriche geht das nicht. Mit etlichen Bands war er in den letzten Jahren unterwegs, inzwischen hat er sich von den meisten getrennt, die sich nicht gerechnet haben.

Aus dem Vollen schöpfen

Die größte Herausforderung besteht für ihn darin, die Muße für „das Eigentliche“ zu finden. Ein Leuchten geht über sein Gesicht, wenn Lutz vom Entstehen seiner Musik erzählt. Keine Frage: Das Komponieren geht ihm über alles. Künstlerische Blockaden scheint er beneidenswerterweise nicht zu kennen. „Es ist alles da, ich muss die Musik nur festhalten“, sagt er. Und für einen Augenblick scheinen die Töne durch den Raum zu tanzen. Was ihm oft fehlt, ist die nötige Zeit. Manchmal geht er in Klausur und zieht sich mit seinem Bass in eine kleine Pension mitten im Bayerischen Wald zurück. „Dann sitze ich da in meinem Zimmer auf dem Stuhl und pflücke die Noten aus dem Vollen“, erzählt er, und greift mit den Händen in die Luft, als wolle er Äpfel vom Baum holen. „Das ist für mich der allerschönste Moment.“

www.lutzmays.de

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Bilder: Angelika Emmerling/Gunda Achterhold

 

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