Wunscherfüllerinnen

„Ich wusste genau: Da will ich hin!”

Claudia Hangmann, Maike Labs und Regina Reiffenberg vom Verein “Herzenswünsche”

„Ich kenne keinen Menschen, der morgens so gerne zur Arbeit fährt“, sagt Maria versonnen. Wir stehen zusammen am Küchenfenster und sehen unserer Freundin Claudia hinterher, die gerade ins Büro radelt. Wetterfest verpackt – wir sind in Münster! – macht sie selbst zu dieser frühen Tageszeit einen ausgesprochen munteren Eindruck. Kein Wunder, denn sie hat einen wunderbaren Job: Jeden Tag erfüllen sie und ihre Kolleginnen schwer kranken Kindern lang gehegte Wünsche – kleine, aber manchmal auch ziemlich große. Seit 25 Jahren setzt sich der Verein Herzenswünsche dafür ein, dass junge Patienten etwas haben, worauf sie sich freuen können. Etwas, das ihnen den oft sehr belastenden Klinikalltag ein wenig aufhellt. Und es stimmt tatsächlich: Seitdem Claudia Hangmann für den gemeinnützigen, sehr rührigen Verein die Buchhaltung führt, freut sich die gelernte Bankkauffrau jeden Morgen auf die Arbeit. Auch, wenn dort manchmal Tränen fließen.

An diesem Tag will ich endlich mit eigenen Augen sehen, wo Claudia arbeitet und wie ich mir die Basiszentrale der in Münster gestarteten und inzwischen bundesweit aktiven Initiative vorzustellen habe. Heimelig, so mein erster Eindruck. Die Büroräume sind in dem Elternhaus von Herzenswünsche-Gründerin Wera Röttgering untergebracht, zusammen mit der Firmen-Kita des Hauptsponsors. Im Garten toben Kinder und verbreiten gute Laune. Wie schön und passend für einen Verein, der sich dem Freude machen verschrieben hat! Jedenfalls bin ich gut eingestimmt auf die Flut von Herzen, selbst gemalten Bildern und den vielen, vielen Fotos an den Wänden der Büroräume, auf denen glückliche Kinder in die Kamera lächeln.

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Im Elternhaus der Gründerin: Der Verein Herzenswünsche setzt sich seit 25 Jahren für schwer kranke Kinder ein

Die Kündigung war eine Riesenchance

Seit genau zehn Jahren sind mir die Herzenswünsche ein Begriff. Claudia Hangmann stand damals vor einer schwierigen Entscheidung. Die Münsteraner Niederlassung einer Bank, für die sie viele Jahre gearbeitet hatte, machte dicht. Ein Wechsel nach Düsseldorf? Für die Mutter von zwei Söhnen war das keine Option. Sie nahm an einem Outsourcing-Programm teil, suchte sich im Rahmen dessen eine Stelle für ein Praktikum – und legte fortan eine Hartnäckigkeit an den Tag, die ich bis heute beispielhaft finde.

Claudia, du bist Bankkauffrau – warum hast du dich damals ausgerechnet für ein Praktikum bei einem Wohltätigkeitsverein wie Herzenswünsche entschieden?
Die Arbeit in der Bank machte mir schon lange keinen Spaß mehr. Jeder hatte dort nur noch eine ganz spezielle Aufgabe zu bearbeiten – das wird auf die Dauer sehr eintönig. Deshalb wollte ich endlich etwas machen, was mich schon immer interessiert hat! Ich hatte viel über die Arbeit von Herzenswünsche gelesen und fand das sehr spannend.

Nach dem Praktikum gab es keine Stelle für dich. Aber du bist am Ball geblieben.
Ich wusste, ich will dahin! Für mich war ganz klar, dass ich in diesem Team mitarbeiten will. Deshalb blieb ich als Ehrenamtliche dabei. Erst einmal die Woche, nach ein paar Monaten zweimal. Da hatte ich dann schon einen 400 Euro-Job und habe der Kollegin in der Buchhaltung zugearbeitet. Im Jahr darauf ging sie in den Ruhestand – und ich wurde 2006 ihre Nachfolgerin. Das war ein Riesenglück!

Das hört sich jetzt so gradlinig an. Dabei war dieses Outplacement ja erst mal eine ganz schön harte Nuss für dich….
Zuerst war das bitter. Aber so richtig wohl gefühlt hatte ich mich da eben schon lange nicht mehr. Ohne die Schließung hätte ich trotzdem sicher nicht den Mut gehabt, meine Stelle aufzugeben. Ich war fast zwanzig Jahre bei der Bank, das überlegt man sich.

Es brauchte einen Push von außen?
Aus heutiger Perspektive würde ich sagen: Die Kündigung war das Beste, was mir passieren konnte! Natürlich erleben wir auch traurige Situationen, aber viel häufiger wird bei uns gelacht! Von den Kindern und Familien, die wir betreuen, kommt unheimlich viel zurück. Wir sehen, was wir mit unserer Arbeit bewirken. Und das ist sehr motivierend.

Zwei Wünsche am Tag

Als Besucher spürt man sofort, dass hier alle bei der Sache sind. Die hellen, weitläufigen Büroraume gehen ineinander über, die Kolleginnen haben Blickkontakt und bekommen es sofort mit, wenn eine Anfrage besonders erfolgreich war oder auch mal Ärger im Raum steht. Hinter dem Schreibtisch von Claudia Hangmann lehnen überdimensionale Geldschecks aus Pappe an der Wand, wie sie auf Veranstaltungen gerne öffentlichkeitswirksam übergeben werden. Seitdem Wera Röttgering den Verein 1989 gegründet hat, haben viele Kinder schöne und aufregende Stunden erlebt. Stunden, die Kraft geben und manchmal dabei helfen, wieder gesund zu werden. Mehr als 7000 Wünsche hat der Verein in den letzten 25 Jahren erfüllt. Entstanden war die Idee, als eine Freundin der Münsteraner Geschäftsfrau an Krebs erkrankte. Nach dem Vorbild der amerikanischen Organisation „Make a Wish“, riefen sie die Initiative gemeinsam ins Leben. „Wera ist bis heute die Seele des Vereins“, sagt Claudia Hangmann. Auch wenn sich die Chefin und Vorsitzende des Vereins inzwischen beruhigt in den Urlaub zurückziehen kann, wie in dieser Woche. Auf ihr Team ist Verlass. Zwei Wünsche am Tag erfüllen die drei hauptamtlichen Helferinnen im Durchschnitt. Nicht immer ist es mit einer Buchung getan, manchmal kann sich so ein Vorgang sehr ziehen.

Die Eine hat die Ruhe, die Andere alle Termine im Blick

Anderthalb Jahre hat es gedauert, bis ein Treffen mit den Münsteraner Tatort-Kommissaren arrangiert werden konnte. In der nächsten Woche soll es nun endlich so weit sein. „Da wären wir alle gerne dabei!“, sagt Regina Reiffenberg und lacht in die Runde heftig nickender Gesichter. In wenigen Tagen reist eine Familie aus München mit ihrer kranken Tochter an, um sich mit den Schauspielern Jan-Josef Liefers und Axel Prahl am Drehort zu treffen. Ehrenamtliche des Vereins stellen ein Rahmenprogramm auf die Beine und gestalten den Gästen ein paar schöne, möglichst sorglose Tage. „Der organisatorische Aufwand für so ein Projekt ist enorm“, betonen die Helferinnen.

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Eingespieltes Team: Gründerin Wera Röttgering mt Maike Labs, Regina Reiffenberg und Claudia Hangmann

Nun ist „Wunscherfüllerin“ eine eher außergewöhnliche Jobbeschreibung. Wenig erstaunlich also, dass sich auch Maike Labs und Regina Reiffenberg ihrer aktuellen Aufgabe auf durchaus verschlungenen Pfaden genähert haben. „Ich habe so einiges studiert, unter anderem Latein und Französisch auf Lehramt, aber das war nicht das Richtige“, erzählt Maike Labs. „Irgendwann fand ich, dass ich mir nun wirklich mal einen festen Job suchen muss!“ Viele Jahre arbeitete sie für eine Konzertagentur, war ständig unterwegs, unter anderem als Roadie, und organisierte Konzerte oder Festivals wie die legendären Schüttorf Open Airs. Sie ist deshalb nicht nur hervorragend in der Musikbranche vernetzt (was im Hinblick auf die Wünsche Heranwachsender von großem Nutzen ist!). Aus dieser Zeit hat sich Maike Labs auch eine unerschütterliche Gleichmut in Stresssituationen bewahrt. „Das wird schon!“ – Mit diesem Spruch bringt sie in jede noch so vertrackte Situation Ruhe hinein. Was ihre Kolleginnen extrem zu schätzen wissen. Denn oft ist bis zur letzten Minute nicht klar, ob ein lang ersehntes Treffen mit einem Promi oder eine Reise wirklich stattfinden kann. „Eigentlich bin ich eher der emotionale Typ“, sagt sie. „Aber vor Konzerten geht immer irgendetwas schief, man muss hier improvisieren und dort und darf sich nicht aus der Fassung bringen lassen. Das habe ich drin.“

Beim Fernsehen macht es Klick

Regina Reiffenberg, die ihren Platz auf der anderen Seite des Schreibtisches hat, kommt aus der Verwaltung. Ihr entgeht nichts, jeder Termin wird von ihr akribisch festgehalten. Zehn Jahre lang war sie als Sachbearbeiterin für das Kolping Bildungswerk in Hamm tätig und engagierte sich ehrenamtlich in der Kinder- und Jugendarbeit. Als ihre Kinder größer und selbstständiger wurden, streckte sie die Fühler aus, machte eine Zusatzausbildung im Eventmanagement und suchte nach neuen beruflichen Perspektiven. „Ich war irgendwann nicht mehr zufrieden und wollte etwas Sinnvolles machen“, sagt sie. Eines Abends verfolgt sie im Fernsehen den Auftritt von Herzenswünsche-Gründerin Wera Röttgering bei “Kerner” und ist wie elektrisiert. Direkt am nächsten Tag ruft sie bei ihr an und nimmt das Angebot, ein Praktikum zu machen, auf der Stelle an. „Es hat mir total Spaß gemacht – aber ich wusste auch, dass keine Stelle für mich da war.“ Wenige Monate später erhält sie einen Anruf aus Münster und übernimmt eine Mutterschaftsvertretung. Daraus wird ein festes Arbeitsverhältnis.

An diesem Morgen lacht Mädchenschwarm Elyas M’Barek von ihrem Bildschirm. Einmal diesen unwiderstehlichen Schauspieler treffen! Ein Herzenswunsch. Regina Reiffenberg ist auf der Suche nach seiner Agentur, die Anfrage ist noch ganz frisch. Meistens werden die Wünsche über Ärzte und Ehrenamtliche an das Team herangetragen, die sich in Krankenhäusern um die jungen Patienten kümmern. Die Wünsche der Kinder gehen in die unterschiedlichsten Richtungen: Manche starten mit einem Heißluftballon gen Himmel, andere freuen sich über einen besonders schön ausgerichteten Geburtstag. Regina Reiffenberg braucht nicht lange zu überlegen, welcher Wunsch ihr besonders in Erinnerung geblieben ist. Sie erzählt von einem kleinen herzkranken Jungen, der sich mit einem berühmten kleinen Wikinger identifizierte. „Er rieb sich sogar die Nase genauso wie Wicki, wenn der gerade eine seiner besonders schlauen Ideen hat.“ Ihr Zögling wurde zu Dreharbeiten an den Walchensee eingeladen, wo Michael Bully Herbig seinen „Wickie“- Film drehte. Die Krönung: Das Film-Team ließ sich Bilder von dem angekündigten Gast schicken und ließ ihn kurzerhand als Komparsen mitspielen. Das sind Sternstunden, auch für Wunscherfüllerinen. Regina Reiffenberg wird es heute noch ganz warm ums Herz. Sie zeigt mir Fotos, die einen semmelblonden, rotwangigen Jungen im Wickie-Look zeigen – umrahmt von großen, sehr freundlich lächelnden Film-Wikingern.

Gesundheit ist ein kostbares Gut

Doch nicht immer herrschen Momente der Freude und des Glücks. Krankheit und Tod, diese Themen schwingen in der Arbeit für Herzenswünsche immer mit. Ich frage die Wunscherfüllerinnen, ob diese Erfahrungen ihre Einstellung zum Leben verändert haben. Schweigen. Es ist ganz still im Raum und es dauert, bis alle drei hoch schauen und nachdrücklich nicken. „Ja“, sagt Regina. „Es hört sich vielleicht an wie ein banaler Spruch, aber Gesundheit ist wirklich ein kostbares Gut. Das erleben wir hier jeden Tag.“ Sie denkt auch an die Mütter, die ihr eigenes Leben oft komplett an den Nagel hängen und sich um ihr krankes Kind kümmern. Alle drei haben selber Familie und empfinden eine große Dankbarkeit dafür, dass ihre eigenen Kinder gesund sind, flügge werden und ihr Leben leben können. „Mir fällt es manchmal schwer, Distanz zu wahren und nicht alles so an mich ran zu lassen“, sagt Maike Labs. Auch nach Jahren in diesem Beruf gehen ihr manche Schicksale sehr nah. „Auf der anderen Seite entwickelt man ein Bewusstsein dafür, wie kostbar das Leben ist. Ich rege mich zwar trotzdem über Kleinigkeiten auf und fluche, wenn mein Drucker nicht funktioniert. Aber unten drunter läuft das immer mit.“

www.herzenwuensche.de

Fotos: Klaus Achterhold, Herzenswünsche e.V.

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