Ganz schön vielfältig
Acht Frauen tun sich zusammen, arbeiten ehrenamtlich und retten einen Kinderbuchladen. Das ist die kurze Geschichte. Die etwas längere Fassung beginnt 2021, als Miriam Tretter und Jana Schützendübel im Münchner Lehel eine Buchhandlung für Kinder eröffnen – den „Kuckuck“. Ein Herzensprojekt, mit dem Ziel: Die Regale in dem ehemaligen Lotto-Lädchen mit hochwertig illustrierten Büchern zu füllen, die nicht überall zu haben sind. Aufmerksamkeit zu schaffen für Themen, die ihnen wichtig sind. Umwelt und Nachhaltigkeit beispielsweise, aber auch die Vielfalt in unserer Gesellschaft. Mit ihrem „Zugvogel“, einem mobilen Bücherregal, sind die beiden Gründerinnen auf Festivals, Märkten und in pädagogischen Einrichtungen unterwegs. Auf internationalen Buchmessen suchen sie nach innovativen Verlagen, veranstalten Lesungen, Performances und Workshops. 2023 wird der Kuckuck als „hervorragende Buchhandlung“ mit dem Deutschen Buchhandlungspreis ausgezeichnet.
Schnell entsteht eine große Stammkundschaft. Die Kleinen lieben es, in der kuscheligen Lesehöhle in Bilderbüchern zu stöbern. Die Großen fühlen sich einfach wohl, in dem kleinen Laden mit den liebevoll bestückten, hellen Regalen. Doch nach drei Jahren ist Schluss: Im April 2024 begann der Countdown, die Inhaberinnen verkauften die noch übrigen Schätze aus ihren Regalen, verteilten Baci von der letzten Buchmesse in Bologna und zählten die Tage bis zum Ende herunter.
Geht da vielleicht doch noch was, irgendwie?
„Zu zweit war dieses Pensum nicht zu bewältigen, jedenfalls nicht zufriedenstellend“, sagt Miriam Tretter. „So viel Verantwortung, permanent mitdenken. Es wurde einfach zu viel.“ Beide Gründerinnen haben Familie, sind auch in anderen Bereichen beruflich engagiert. Sie zogen die Reißleine. Was dann passierte, kann man als ein kleines Wunder bezeichnen. Noch während des Ausverkaufs meldeten sich Kundinnen, die einfach nicht wollten, dass der Kuckuck für immer schließt. Sie boten an, Schichten zu übernehmen und ehrenamtlich Bücher zu verkaufen – damit es irgendwie weitergehen kann. Und so kam es dann auch. Ein harter Kern von acht Frauen kämpfte sich durch einen Dschungel möglicher Rechtsformen und zäher bürokratischer Prozesse, bis sich die Ladentür am 26. November 2024 endlich wieder öffnete – wie eh und je begleitet von den Rufen eines Kuckucks und sanftem Vogelgezwitscher.
Noch fühlt sich alles ganz neu an: Strahlende Gesichter hinter und vor der Ladentheke, wann immer man kommt. Die Freude über den Wiederanfang ist groß. „Ich hätte nie gedacht, dass es so lange dauert, einen Verein zu gründen“, sagt Claudia Kar-Köhle. Die Journalistin ist eine von drei Vorständinnen des neu gegründeten, gemeinnützigen Vereins Kuckuck KinderBuchKultur e.V., an diesem Nachmittag sitzt sie an der Kasse. Die Verantwortung für den Buchladen verteilt sich nun auf viele Schultern. Eine pensionierte Lehrerin und eine Erzieherin sind Teil des Teams, eine Grafikerin (die ihre wunderschönen Karten im Laden anbietet), eine Psychologin, eine Kunstwissenschaftlerin mit Erfahrung in der Pressearbeit und Vorständin Caroline Streck, die jahrelang einen Kinderladen in Haidhausen führte. Miriam Tretter, ebenfalls im Vorstand, kommt vom Film, sie hat früher Kinos geleitet. Der Schaukasten vor dem Laden hing jahrzehntelang vor dem Türkendolch (für jüngere Generationen: das war ein sehr tolles Kino in der Türkenstraße), zwei Klappsessel am Eingang stammen aus dem alten Volkstheater. „Die hatte Jana zur Eröffnung damals ergattert, sie arbeitet dort in der Requisite“, sagt die Gründerin und schaut sich lächelnd um. „So ein bisschen was von unserer beruflichen Herkunft schwingt hier also durchaus mit.“
Aus Liebe zu Büchern: KinderBuchKultur mit neuen Konzepten
Inzwischen hat sich die Filmfrau zu einer Expertin in Sachen Kinderbuch entwickelt. Auf Anhieb zieht sie Bücher aus den Regalen, in denen Kinderfiguren im Rollstuhl sitzen, ohne dass es zum Thema gemacht wird. Hautfarbe thematisiert, aber nicht problematisiert wird. Buckelwale gerettet oder Stöcke in ihrer ganzen wunderbaren Vielfalt gezeigt werden – man kann sie sammeln, mit ihnen essen oder etwas daraus bauen. Der Verein – er hat sich der Förderung von Kunst und Kultur, Bildung und Erziehung verpflichtet – unterstützt pädagogische Einrichtungen bei der Buchauswahl für ihre Bibliothek und berät sie bei Schwerpunktsetzungen. Ganz aktuell das im November eröffnete Väterberatungszentrum der Diakonie Hasenbergl. „Kurz vor Weihnachten startet im Ausweichquartier des Museums VILLA STUCK ein Projekt zu Bilderbüchern, an dem wir beteiligt sind“ erzählt Miriam Tretter. Die Inhalte und Themen der Büchersammlung knüpfen an Themen und Motive im Museum an. Fesselnd, poetisch und fantasievoll. Das passt zum Kuckuck.
Zur Kleine Läden-Roadmap geht es hier.
Bilder: Gunda Achterhold
Gruppenbild: Kuckuck KinderBuchKultur e.V.
Auf dem Foto zu sehen sind, oben von links nach rechts: Miriam Tretter, Jana Meier-Roberts, Bianka Burger. Mittlere Reihe rechts: Manuela Ketzler-Momboisse, Caroline Streck. Unten von links nach rechts: Claudia Kar-Köhle, Susanne Spieler, Kirsten Prößdorf.
Vielen Dank für diesen tollen Text über unser Herzensprojekt! Da macht es gleich noch mehr Spaß 🙂