“Arbeit muss auch Spaß machen!”
Esra Kücük, Geschäftsführerin des Dialogforums Junge Islam Konferenz
An einem herrlich sommerlichen Tag radele ich durch Berlin-Mitte. Ich bin auf dem Weg zu Esra Kücük, die ich während der Recherche zu meinem Buch „Wer macht was und was mache ich?“ kennenlernte. Nach dem Politikstudium mit deutsch-französischem Doppeldiplom hatte sie ein Trainee-Programm bei der Stiftung Mercator absolviert und arbeitete für den Sachverständigenrat deutscher Stiftungen für Integration und Migration. Die damals 27-Jährige war persönliche Referentin der Geschäftsführung und forschte zugleich – Respekt! – als Doktorandin der Berliner Humboldt-Universität an einer Promotion zu „neuen zivilgesellschaftlichen Akteuren“. Dazu gehören zum Beispiel Leute, die sich im Internet als Meinungsführer aufspielen und stereotype Bilder von Migranten transportieren.
Das Gespräch war bei mir hängengeblieben. Erstens, weil ich einmal mehr feststellte, dass Stiftungen oft richtig interessante Jobs bieten. Und zweitens, weil mir die Leidenschaft imponierte, mit der Esra Kücük über Integrationsbarometer oder Jahresgutachten zum Einwanderungsland Deutschland sprach und Ideen zu integrationspolitischen Think-Tanks entwarf.
Gefragte Expertin zum Thema Einwanderung
Jetzt ist sie Geschäftsführerin einer solchen Denkfabrik: Seit 2013 leitet Esra Kücük die Junge Islam Konferenz (JIK). Das Netzwerk versteht sich als Plattform für junge Menschen, die die öffentliche Diskussion über Muslime in Deutschland positiv vorantreiben wollen. Die junge Referentin hatte das Wissens- und Dialogforum, eine Initiative der Stiftung Mercator, 2011 selbst ins Leben gerufen. Religiöse und nicht-religiöse Teilnehmer, Jugendliche mit oder ohne muslimischen Migrationshintergrund werden in den Programmen der JIK dazu eingeladen und durch wissenschaftliche Inputs und Expertengespräche befähigt, in der Öffentlichkeit bestehende Bilder, Klischees und Vorurteile um Muslime und den Islam differenziert zu betrachten und kritisch zu hinterfragen.
Wie ist das, mit dreißig Jahren von der Assistentin zur Chefin zu werden?
Diese Frage interessiert mich.
Eine erste Antwort erhalte ich, als ich das Büro im ersten Stock des Palais Am Festungsgraben betrete. Aus hohen Fenstern, die den Blick auf das Deutsche Historische Museum links und die Humboldt-Uni rechts frei geben, fällt Licht auf mehrere Reihen von Schreibtischen. Zu hören ist nur ein leises Klackern auf den Tastaturen. Hier hat niemand einen Blick für die prachtvollen Fassaden und das Gewimmel Unter den Linden. Ganz hinten rechts in der Ecke löst sich Esra Kücük von ihrem Bildschirm. Grüne Jeans, blaue Jacke, dunkles T-Shirt: Mit strahlendem Lächeln kommt sie auf mich zu, die langen dunklen Locken wippen. Auf einen Chefsessel legt sie also schon mal keinen Wert.
Die ersten Monate ihrer Amtszeit sind gut gelaufen, die Projekte und Initiativen der JIK finden Anerkennung. Viel beachtet war der Aufruf zur Einrichtung einer Enquetekommission im Deutschen Bundestag, die Leitbilder für eine vielfältige Einwanderungsgesellschaft entwickeln soll. Trotzdem: Esra Kücük ist beunruhigt. „In den letzten Monaten beobachten wir zum Beispiel, dass immer mehr Jugendliche übers Internet auf Seiten landen, die scheinbar harmlos daherkommen, aber dem salafistischen Spektrum zuzuordnen sind. Viele verlinken arglos und schicken sie an ihre Freunde weiter.“ Die insgesamt neun Mitarbeiter der JIK werten Analysen, Berichte und Statistiken aus und brechen Zahlen aus dem Mikrozensus herunter. Beispielsweise um vorzurechnen, wie verschwindend gering der Anteil gefährlicher Islamisten in Deutschland tatsächlich ist. “Auf den Konferenzen greifen wir Themen auf, mit denen die Jugendlichen im Alltag konfrontiert werden“, erklärt Esra Kücük. „Wir versorgen sie mit handfesten Informationen, ordnen ein und geben ihnen damit Argumente an die Hand.“
Wir gehen über den Hof zur Kantine des Gorki-Theaters. Wie praktisch: Alle Kooperationspartner der durch die Stiftung Mercator geförderten Jungen Islam Konferenz – Humboldt-Uni und Gorki-Theater – sind schön kompakt angesiedelt. Durch die offenen Fenster sind die Stimmen deklamierender Schauspieler zu hören, über Lautsprecher werden ihre Kollegen zur Probe gerufen. Esra Kücük lässt sich auf einer der Biergartenbänke im Innenhof nieder und atmet tief durch. Das Tagesgeschäft sei ziemlich schnelllebig, sagt sie und lächelt: „Es fühlt sich gerade gar nicht nach Routine an!“
Fellow in Stanford: Zwischen Campus und Bundestag
Noch vor wenigen Monaten saß die angehende Geschäftsführerin auf dem Campus der Stanford University in der kalifornischen Sonne und fragte sich: Wo stehe ich jetzt eigentlich? „Ich habe internationale Politik studiert und beschäftige mich inzwischen nur noch mit innenpolitischen Themen“, stellt sie fest. Weit weg von Berlin fand sie als Stipendiatin der amerikanischen Eliteuniversität im Silicon Valley einige Wochen Zeit für die Arbeit an ihrer Doktorarbeit. „Es ist ein unwirklicher Ort“, sagt sie. „Alle sind reich, intelligent und haben die besten Chancen, aus ihrem Leben etwas zu machen.“ Diese Möglichkeiten haben viele Kinder von Migrantinnen und Migranten in Deutschland nicht. Auch Esra Kücük, die als Tochter türkischer Gastarbeiter in Hamburg groß geworden ist, hätte es ohne die Hartnäckigkeit ihrer Mutter nicht aufs Gymnasium geschafft. Die S-Bahn in dem Viertel, in dem sie aufwuchs, wird bis heute „Orient Express“ genannt.
Wichtige Management Skills: “Als Assistentin habe ich viel gelernt”
Ihre Aufgaben als Geschäftsführerin sind vielfältig. Die in Berlin als Pilotprojekt gestartete Junge Islam Konferenz soll auf vier weitere Bundesländer ausgeweitet werden. Noch in diesem Jahr läuft eine neu konzipierte und von einem Münchner Pädagogenteam zertifizierte Ausbildung für Lehrer und Multiplikatoren an, die auf den Umgang mit den Themen Islam und Muslime an ihren Schulen vorbereitet werden. Abstimmungen, Konferenzen, Telefonate: Bei Esra Kücük laufen alle Fäden zusammen. Auch bundesweit ist sie als Expertin zum Thema Migration gefragt. Sie hält Vorträge, nimmt an Podiumsdiskussionen und Tagungen teil und wird als Sachverständige in den Bundestag geladen.
Liebe Frau Kücük, wie bringen Sie das alles unter einen Hut?
Als Assistentin der Geschäftsführung beim Sachverständigenrat habe ich viele Management Skills gelernt, die ich jetzt anwende. Aber: Ja, der Alltag ist wirklich anspruchsvoll. Ich frage mich, wie Chefs von großen Unternehmen das eigentlich machen…. Wir haben neue Strukturen eingeführt und verschiedene Steuerungsgruppen gebildet, das läuft sehr gut. In kleinen Portionen lassen sich die Aufgaben besser bewältigen. Dadurch sind neue Ebenen entstanden, es berichten nicht mehr alle zu mir. Das ist schon mal eine große Erleichterung für mich! Außerdem haben wir viele Abläufe standardisiert. Das klingt vielleicht ein bisschen langweilig, ist aber für die Qualitätssicherung ganz wichtig – gerade, weil wir Projekte mit Partnern in verschiedenen Bundesländern koordinieren.
Ein Nine-to-five-Job sieht anders aus. Zugleich arbeiten Sie an Ihrer Doktorarbeit. Wie organisieren Sie das?
Mir war es von Anfang an wichtig, klare Verantwortlichkeiten zu haben, damit ich mich auch mal aus dem Tagesgeschäft rausziehen kann. Viele aus dem Team sind von Anfang an mit dabei, wir haben das Projekt gemeinsam aus der Taufe gehoben. Das prägt die Zusammenarbeit natürlich sehr. Ich habe auch gelernt, Dinge abzugeben – was gar nicht so einfach ist, wenn man selbst der Kopf einer Idee war… Aber es geht, und es geht sogar gut. Im Sommer habe ich mir eine zweite Auszeit für die Dissertation genommen und war wieder für sechs Wochen in Stanford. Politisch war in der Zeit Sommerloch, aber die Vorbereitungen für den Herbst liefen schon. Das hat aber alles wunderbar geklappt!
Warum tun Sie sich das eigentlich an?
Es gibt Zeiten, da finde ich es schwierig, beides parallel zu machen. Aber die Außenwelt spiegelt mir schon, dass ich jung bin, Frau und mit muslimischem Hintergrund. Ich komme nicht drumherum: Wenn ich weiterkommen und in diesem gesellschaftspolitischen Umfeld arbeiten will, dann brauche ich diese Qualifikation. Ich merke allerdings auch, dass mir die Arbeit an meiner Dissertation im Job wichtige Impulse gibt. Wenn ich aus Kalifornien wiederkomme und hier in Berlin an neuen Dossiers arbeite, gehe ich wieder ganz anders an die Sache heran!
Aus Amerika hat sie nicht nur Methoden wie Design Thinking mitgebracht, die selbst in schwierigen Situationen Kreativität befördern, sondern auch eine positive Einstellung zum Job: „Arbeit muss auch Spaß machen“, sagt sie, und schaut sich zufrieden um. „Ein nettes Umfeld hilft da sehr.“ Vor allem, wenn mal wieder richtig fiese Mails von rechts reinkommen. „Geh doch zurück in die Türkei!“ gehört noch zu den netteren Ratschlägen, die die in Deutschland geborene Geschäftsführerin erhält. Wenn es richtig dicke kommt, geht sie zum Squash, um sich abzureagieren. Oder auf den Fußballplatz. „Ich bin eher die Technikerin“, sagt Esra Kücük, die schon mit zwölf Jahren in der D-Jugend gespielt hat und seit vielen Jahren für den Blog Im Abseits? über türkisch geprägte Fußballvereine schreibt. Der Frauenfußball ist ihr inzwischen allerdings zu aggressiv geworden. „Ich spiele jetzt mit Männern.“
Fotos: Gunda Achterhold, Nina Pieroth, Junge Islam Konferenz