Von der Bühne in die Kita

„Unser Team lebt von seiner Vielfalt“

Uwe Volkert, Tänzer und Erzieher

Susann Reese, Tanzpädagogin und Kita-Gründerin

Tür auf, an vielen kleinen Gummistiefeln, Regenhosen, einem Bollerwagen vorbei, und man fühlt sich sofort wohl. Die Wände der Münchner Kindertagesstätte „GemeinsamSein“ sind in warmen Rot- und Gelbtönen gestrichen und liebevoll bemalt. Eine Kladde steht aufgeklappt im Wandregal und zeigt ein Vögelchen mit Noten im Schnabel. Aha, die Eltern sehen beim Abholen also gleich, dass ihre Kinder heute Lieder aus der „Vogelhochzeit“ gesungen haben.

Durch das große Fenster im Eingangsbereich erblicke ich eine Harfe, das schöne Instrument fällt mir sofort ins Auge. Musik, Tanz und Bewegung spielen in diesen Räumen eine große Rolle. Genau deshalb ist Uwe Volkert hier. In blauen Hosen und einem weiten karierten Hemd betritt der Erzieher den kleinen Besprechungsraum. Sein Gang ist gerade, die Bewegungen elastisch – man sieht sofort, dass er viele Jahre als Tänzer auf der Bühne stand. Nicht mit klassischen Ballett-Kompanien, dafür war der Norddeutsche zu spät dran.

Mit 23 Jahren, im geteilten Berlin das preiswerte Leben genießend, kam der gelernte Erzieher an einer Tanzschule für Modern Dance vorbei. Man könnte jetzt sagen, das war Schicksal. Auf jeden Fall ging der schlaksige junge Mann in seinen hellen Breitcordhosen hinein und landete auf der Stelle in einer Tanzklasse. „Ich saß auf Anhieb fast im Spagat“, sagt er, und erinnert sich lächelnd an den überraschten Blick seiner Tanzlehrerin. Die Choreographin aus New York erkannte sein Talent und förderte ihn. „Ich wusste vorher nie so richtig, was ich wirklich machen will“, erzählt Uwe Volkert. „Aber da habe ich Feuer gefangen.“

Welcher Beruf passt zu mir?

Ein bisschen sperrig und anders als die anderen war er immer gewesen. „Mit Schützenfesten und diesem ganzen Vereinsleben konnte ich gar nichts anfangen“, sagt Uwe Volkert, der in einem Dorf nahe Bremen aufwuchs. Die beruflichen Perspektiven waren dort überschaubar. Bauer, Schlosser, Mechaniker oder Banklehre – „das wollte ich nicht“. Der 17-Jährige machte eine Ausbildung zum Erzieher, ein in den späten Siebzigern ausgesprochen unüblicher Weg. Schon als Kind hatte er seinen Eltern vor dem Fernseher vorgetanzt und auf Feten Tanzstile parodiert. Dass sich darauf ein Beruf aufbauen lassen würde, davon hätte er jedoch nicht einmal geträumt. „In gewisser Weise war es natürlich ein Nachteil, dass ich so spät zum Tanzen gekommen bin“, sagt er rückblickend. „Mit über 20 ordnest du dich dem sehr hierarchischen System Tanz nicht mehr so leicht unter.“

 

Andererseits war er schon ein Typ, brachte Persönlichkeit mit und eine innere Unabhängigkeit. Uwe Volkert tanzte in verschiedenen Kompagnien und Off-Produktionen in Berlin, Frankfurt, Tübingen und Hamburg, arbeitete auch als Schauspieler und Choreograph und klotzte zum richtig Geldverdienen zwischendurch immer mal wieder für eine Messebaufirma rein. „Ich fand es super, dieses sehr freie und ungebundene Leben.“ Dennoch: Sich als selbstständiger Künstler in der freien Szene zu bewegen, ist eine ständige Herausforderung. Und es wird mit den Jahren nicht leichter. „Ich wollte kein frustrierter alter Tänzer werden“, sagt Uwe Volkert. Als er auf die Vierzig zuging, kam ihm sein Beruf als Erzieher wieder in den Sinn. Eine Freundin schlug ihm vor, seine Freude an der Bewegung und dem Tanz mit der Pädagogik zusammenzubringen und eine Zusatzausbildung zum Motopäden zu machen.

Back to the roots – mit ganzheitlichem Anspruch

Inzwischen arbeitet Uwe Volkert seit mehr als zehn Jahren wieder als Erzieher. Der pädagogische Ansatz in der kleinen Schwabinger Kinderkrippe liegt ihm sehr. Entstanden ist die Einrichtung aus einer privaten Initiative heraus. 2009 eröffneten die beiden Pädagoginnen Susann Reese und Undine Schwitajewski ihre eigene Krippe, nachdem sie viele Jahre Erfahrung in der heil- und tanzpädagogischen Arbeit mit Kindern gesammelt hatten. Ihren insgesamt 24 Krippenkindern bieten sie viel Raum zum Austoben und Singen, zum Tanzen, Spielen und Gestalten. Die freie Entfaltung jedes einzelnen Kindes ist hier Programm. Hinter der geschlossenen Tür höre ich die Mitarbeiter miteinander reden. Einmal in der Woche kommen sie in großer Runde zusammen und tauschen sich über die wichtigsten Entwicklungen und Geschehnisse aus.

Hinter der Tür sitzen nicht nur ausgebildete Erzieherinnen und Kinderpflegerinnen beieinander. Hier arbeiten Menschen zusammen, die aus den unterschiedlichsten beruflichen Richtungen kommen. Jeder von ihnen bringt seine ganz eigenen Erfahrungen mit. Eine ehemalige Tagesmutter und eine Bildhauerin gehören ebenso zum Team wie ein Au Pair, das nach dem Aufenthalt in New York auf einmal vor der Tür stand. „Sie brachte Intuition und ein Gespür für Kinder mit“, stellt Kita-Leiterin Undine Schwitajewski fest. „Es hat einfach auf Anhieb gepasst.“

Kombinieren Tanz und Pädagogik: Susann Reese und Uwe Volkert

Auch die ungelernten Kräfte werden überall mit einbezogen – sie übernehmen sämtliche Aufgaben, von Elterngesprächen bis hin zum Wickeln. Die beiden Gründerinnen sind unkonventionellen Lebensläufen gegenüber sehr aufgeschlossen. „Wir kommen ja selber aus ganz anderen Richtungen“, sagt Gruppenleiterin Susann Reese und lacht. „Das Einzige, was mich noch mit meiner Lehre als Arzthelferin bei einem Orthopäden verbindet, ist die Beschäftigung mit dem Körper.“ Nach der Geburt ihres Sohnes und dem Umzug nach München entdeckte sie die Welt des Kreativen Tanzes für sich. „Ich bin ein anderer Mensch geworden!“ Susann Reese machte eine Ausbildung im heilpädagogischen Tanz, gab Kurse in Schulen und Spielgruppen und beschäftigte sich immer intensiver mit der ganzheitlichen Pädagogik. Der Sprung in die Selbstständigkeit war mutig, aber sie hat ihn nie bereut. „Unser Konzept geht auf.“

Erzieher, Tänzer, Clown

Jeden Morgen trommelt Uwe Volkert einen Teil der Kinder zusammen und verbringt mit ihnen erst einmal eine Stunde im Tobe-Raum. Gemeinsam rennen und tanzen und hüpfen sie durch die Gegend. Still sitzen, malen, Bücher anschauen, das kommt später dran. „Es kommt gerade alles wieder zusammen“, sagt der 54-Jährige und staunt selbst ein bisschen, wie sich die Dinge manchmal fügen. Erst vor kurzem hat er seine Arbeitszeit reduziert: In der Schule der Clowns hat der ehemalige Tänzer nun auch die Kunst des Stolperns perfektioniert. Einmal in der Woche setzt er sich eine rote Nase auf und bringt als Klinikclown schwer kranke Kinder zum Lachen. „Wir gehen als Künstler dahin“, betont Volkert. Es ist nicht immer leicht mit zu erleben, wie sehr manche der kleinen Patienten leiden. „Aber sie wollen kein Mitleid von uns“, sagt der Pädagoge. „Wir helfen ihnen, wenn wir sie für einen Moment alles andere vergessen lassen.“

An diesem Tag in der Schwabinger Kita scheinen diese schweren Schicksale ganz weit weg zu sein. Alle Krippenkinder sind wieder zuhause, nur die Wichtel baumeln sanft im Flur. In diesem Moment der Stille ist es kaum zu glauben, dass hier morgen wieder das bunte Leben toben wird. Gruppenleiterin Susann Reese wirkt selbst nach einem langen Tag noch völlig entspannt. „In meine Arbeit kann ich alles einbringen, was ich in den Jahren gelernt habe“, sagt die zierliche Tanzpädagogin. „Und das geht hier allen so.“

Ein Lachen schenken – zur Homepage der KlinikClowns
www.KlinikClowns.de

Fotos: Gunda Achterhold/Susann Reese
Beitragsbild: privat

Ein Gedanke zu „Von der Bühne in die Kita

  1. von Fritsch Irene

    Das finde ich eine gelungene Kombination aus Freude und Kreativität für und mit Kindern. Ich wünsche mir dass viele Menschen mit Ihren Talenten diese gemeinsam mit Kindern einsetzten!

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