Kreativ im Quartier

„Mit dem fertig gemalten Bild hört die Kunst nicht auf“

Jürgen Enninger, Leiter des städtischen Kompetenzteams Kultur- und Kreativwirtschaft in München

Was haben Architekten, Designer, Spiele-Entwickler, Musiker, Autoren, Maler, Werbeleute oder Filmemacher gemeinsam? Sie alle arbeiten in schöpferischen Berufen, meistens aus einem tiefen inneren Antrieb heraus, und schauen dabei nicht groß auf die Uhr. Leben und arbeiten lassen sich oft gar nicht so trennen – man tut das, was man tut, ja schließlich gerne! In der öffentlichen Verwaltung werden diese Berufsgruppen unter dem etwas sperrigen Begriff der „Kultur- und Kreativwirtschaft“ subsumiert. Was sehr schön zum Ausdruck bringt, dass Kulturschaffende in ihrer Gesamtheit durchaus nennenswert zum Bruttosozialprodukt beitragen. Immerhin handelt es sich um den drittgrößten Wirtschaftszeig in Deutschland, direkt nach der Automobil- und Chemieindustrie. Schade nur, dass die einzelnen Künstler und Kreativen von ihrer Arbeit kaum leben können. Buchhaltung, Preisverhandlungen und Marketing gehören in der Regel nicht zu den Kernkompetenzen freischaffender Künstler.

Ausbeutung ist nicht cool

Anfang des Jahres hat Jürgen Enninger auf Facebook einen ARD-Beitrag über die Berliner Fashion Week gepostet. Lauter junge Leute rannten hierhin und dorthin, machten sich nützlich, frisierten Köpfe und konnten ihr Glück gar nicht fassen, als unentgeltliche Arbeitskraft bei der Modeshow dabei sein zu dürfen. „Diese Coolness in Bezug auf unbezahltes Arbeiten geht mir gegen den Strich“, sagt Enninger, und verzieht das Gesicht. Der Religionspädagoge und Wirtschaftswissenschaftler weiß, wie schwer es ist, in einem kreativen Beruf Fuß zu fassen. Dennoch kann Selbstausbeutung aus seiner Sicht keine Option sein. „Jeder muss am Ende des Monats seine Miete bezahlen.“

Die Probleme, vor denen Kreative stehen, kennt Jürgen Enninger gut. Fünf Jahre lang baute er als Bundesbeauftragter für die Kultur- und Kreativwirtschaft das Regionalbüro in Bayern auf und war an insgesamt zehn Standorten beratend unterwegs. „Ich weiß auch nicht mehr wie ich das geschafft habe!“, sagt der 45-Jährige, während er schnellen Schrittes sein neues Büro im Münchner Kreativquartier an der Dachauer Straße durchmisst. Hier, mitten im kreativen Chaos künstlerisch genutzter Hallen und Ateliers, finden die Sprechstunden statt. Ein großer Tisch, mit Plätzchen, Kaffeemilch und Unterlagen, nimmt fast den gesamten Raum ein. Zweitwichtigstes Möbel ist ein Flipchart, an dem Enninger mit farbigen Stiften Geschäftsmodelle entwirft.

Dienstleister in Sachen Kunst

Man kann mit Kultur Geld verdienen. Diese zentrale Erkenntnis hat der gebürtige Niederbayer Anfang der Zweitausenderjahre nach einem kurzen Gastspiel im Controlling der Bayerischen Staatsoper gewonnen. Nach dem Abstecher in die Komfortzone eines subventionierten Kulturbetriebs kehrte der Jazz-Liebhaber ins Musikmanagement zurück und wurde Chef des Musik-Labels Enja Records. „Ich fand es faszinierend, dass wir hochwertigste Kultur produziert haben, und das auf einer wirtschaftlich fundierten Basis“, stellt er fest. Das Bewusstsein für den Wert einer künstlerischen Leistung, will er als Leiter des Kompetenzteams stärken. Es fehle an wirtschaftlichem Know-how, aber auch am Selbstbewusstsein. „Mir geht es darum, dass Kreative ihre eigene Wirtschaftlichkeit ernst nehmen und im Umgang mit ihren Kunden auf Augenhöhe agieren, so wie andere Wirtschaftsteilnehmer auch.“

Ich besuche Jürgen Enninger in seinem Büro, weil ich mehr über die Arbeit des städtischen Kompetenzteams erfahren möchte. Es interessiert mich, wie Enninger und seine Mitarbeiter Künstlern künftig beim Geldverdienen helfen wollen. Ich habe selbst viel mit Kreativen zu tun, als Dozentin und auch als Coach. Außerdem bin ich Journalistin und gehöre der Berufsgruppe selber an. Was mich darüber hinaus fasziniert, ist der Lebenslauf von Jürgen Enninger. Für jemanden, der sich mit Business Modellen beschäftigt, bringt er einen ungewöhnlichen Background mit.

Herr Enninger, Sie haben sich mit 17 für die Religionspädagogik entschieden. Heute operieren Sie mit Wirtschaftsdaten. War das eher ein Versehen?
Nach der Fachoberschule konnte ich zwischen zwei Richtungen wählen. Die Sozialpädagogen waren damals so ökomäßig drauf und rauchten alle – das mochte ich nicht. (lacht) Ich habe aber schnell gemerkt, dass dieser Studiengang nicht so ganz das Richtige für mich ist. Trotzdem habe ich in dem Studium viel gelernt. Allein das Allgemeinwissen! Philosophie, Musik oder die abendländischen Geschichte, die in der Kirchengeschichte immer wieder thematisiert wird. Davon profitiere ich bis heute. Ebenso wie von den Seminaren zu Gesprächsführung oder Veranstaltungsmanagement. Der Studiengang ist vielfältiger als man denkt. Außerdem war ich in der Gemeindearbeit engagiert. Da sammelt man wichtige Erfahrungen im Umgang mit Menschen!

Nach dem Studium an der Universität Eichstätt arbeitet Jürgen Enninger als Verlagsassistent, geht als Praktikant nach Hong Kong und wird nach seiner Rückkehr Verlagsleiter. An der Uni Passau studiert er Wirtschafts- und Kulturraumstudien mit Schwerpunkt Südostasienkunde, legt Auslandssemester ein in Kanada und in den Niederlanden, produziert nach dem Abstecher an die Staatsoper jahrelang Musik und bewirbt sich schließlich beim Kompetenzzentrum des Bundes für Kultur- und Kreativwirtschaft. Als Vorstandsvorsitzender eines Mittelstandverbandes ist er seit zehn Jahren mittendrin im Geschehen.

Gibt es etwas, das sich wie ein roter Faden durch diese vielen verschiedenen beruflichen Stationen zieht?
(sehr spontan) Empathie und Offenheit. Das sind Fähigkeiten, die ich wirklich in jeder Phase gebraucht habe und die bis heute in meiner Arbeit wichtig sind. Ob beim Verlag, im Musikmanagement oder als Bundesbeauftragter – ich habe immer wieder mit Menschen zu tun gehabt, in vermittelnder oder auch beratender Funktion. Ein zweiter Punkt: Ich habe mich immer sehr stark als Dienstleister gesehen. Als Dienstleister der Kultur – und heute im Dienst der Künstler.

Künstler für wirtschaftliche Belange zu begeistern, ist eine schwierige Aufgabe. Wie gehen Sie da heran?
Wie bringe ich meine Leistung an den Markt? Das ist immer die Ausgangsfrage. Künstler und Kreative kennen häufig die Mechanismen nicht, deshalb bieten wir ihnen Beratung an. Wo war ich erfolgreich, lässt sich das wiederholen, wie plane ich das nächste Jahr? Das sind grundlegende Fragen, bei denen wir Anleitung bieten. Auch wenn es zwischendurch mal nicht so gut läuft: Entscheidend ist, in Bewegung zu bleiben und nicht aufzugeben.

Das ist leichter gesagt als getan…
Wir beobachten da durchaus Unterschiede. Jüngere sehen die wirtschaftlichen Anforderungen eher und gehen selbstbewusster mit der Branche um. Doch auch für sie gilt: Je vereinzelter Künstler arbeiten, mit sich selbst allein in ihren Ateliers oder Büros, desto leichter bröselt das Selbstbewusstsein. Die Vernetzung der Kreativen untereinander ist deshalb eine unserer zentralen Aufgaben.

Zahlenmensch mit Einfühlungsvermögen

Jürgen Enninger ist ein aufmerksamer Gesprächspartner. Konzentriert, freundlich, zugewandt. Da ist von beidem etwas: Hier der an der Religionspädagogik geschulte Zuhörer und Moderator. Dort der Kulturwirt, der von „Wertigkeit“ und „selbstbewusster Einpreisung“ spricht. Manchmal, ja, da leidet er mit, wenn jemand vor ihm sitzt, der schon so viel probiert, vieles richtig gemacht hat. Und trotzdem auf keinen grünen Zweig kommt. Bitte bloß nicht aufgeben, denkt er dann. „Das sind schon Momente, die mich sehr beschäftigen“, sagt Jürgen Enninger. Sie zeigen ihm allerdings auch, wie wichtig die Arbeit seines Kompetenzteams ist. Motivieren, Orientierung bieten, Informationen zu Fördermitteln an die Hand geben, bei der Suche nach neuen Erwerbsquellen oder – in München ein Riesenproblem – nach bezahlbaren Räumen helfen. „Es geht uns nicht darum, die Kunst kommerzialisieren zu wollen“, betont Enninger. Er sieht das Dilemma, in dem sich Künstler bewegen, die sich in ihrem künstlerischen Coming out-Prozess jahrelang freistrampeln, sich nach allen Seiten, vor der Familie, gegenüber Freunden, rechtfertigen müssen, weil sie nichts „Gescheites“ machen, während sie ihre ganze Energie in die Entwicklung ihrer Kunst stecken. Und jetzt sollen Sie auf das Preis-Leistungs-Verhältnis achten? Es geht um Kunst, bitteschön, und nicht um irgendein x-beliebiges Konsumprodukt! Schwierig. Das weiß auch Jürgen Enninger. Aber er kennt eben auch die Zahlen. Zwei Drittel aller Selbstständigen in der Kultur- und Kreativbranche setzen im Jahr weniger als 17.500 Euro um. Davon kann man in München nicht leben. „Mit dem fertig gemalten Bild hört die Kunst nicht auf“, stellt er fest und plädiert für mehr Selbstbewusstsein im wirtschaftlichen Alltag. Das ist mein Bild, das ist mein Preis!

www.kultur-kreativ-wirtschaft.de

 

Fotos: Gunda Achterhold, Mike Schmalz

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert